Im Gedenken spiegelt sich immer auch die Gegenwart wider

Gemeinde Nottuln erinnert an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945

Wir wissen es vielleicht von Erzählungen aus der eigenen Familie, wie das damals war mit Auschwitz. Vielleicht weil sie jemanden kannte, der nach Auschwitz deportiert worden ist. Vielleicht war es ja sogar jemand aus der eigenen Familie. Wegen der Religion, wegen der politischen Einstellung oder weil diese Menschen einfach nur so waren, wie sie waren. Weil sie nicht so gelebt oder so geliebt hatten, wie sie sollten. Weil ihre Person nicht der Nazi-Norm entsprach.
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, welches auf dem Gebiet des heutigen Polen lag, von der roten Armee befreit.
Heute jährt sich der Tag seiner Befreiung zum 80. Mal. Fünf Jahre lang von 1940 bis 1945 fand dort ein systematischer Völkermord statt. Über eine Million Menschen wurden von den Nazi-Schergen ermordet. Für all diese Menschen kam die Befreiung zu spät.
Neben Jüdinnen und Juden waren es auch andere durch das NS-Regime verfolgte Gruppen, die dort eingesperrt und ermordet wurden. Unter ihnen Sinti:zze und Rom:nja, queere Menschen, politische Gegner:innen, Zeugen Jehovas, Menschen, denen eine kriminelle Veranlagung unterstellt wurde, kranke Menschen oder solche mit geistigen oder körperlichen Handicaps, Obdachlose, Alkoholkranke oder sozial unangepasste Menschen.
Diese waren als sogenannte Schutzhäftlinge besonders gekennzeichnet. Verschiedenfarbige Winkel – auf der Spitze stehende Dreiecke – wurden an ihrer gestreiften Häftlingskleidung befestigt. Häftlinge, die als asozial eingestuft worden sind, bekamen einen schwarzen Winkel und Berufsverbrecher einen blauen. Politische Schutzhäftlinge waren mit einem roten Winkel gekennzeichnet. Und homosexuelle Menschen mussten rosafarbene Winkel tragen.
Mit diesem Gedenken an den Holocaust, der am 27. Januar 1945 in Auschwitz sein Ende fand, soll besonders an die lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, transsexuellen, intersexuellen und queeren Menschen gedacht werden, denen unsägliches Leid widerfuhr.
Dieser 27. Januar ist eine gute Gelegenheit, um sich mit diesen menschenfeindlichen, völkischen, antisemitischen und rassistischen Ideen auseinanderzusetzen.
Wir sollten uns dabei bewusst machen, wie weitreichend diese Vernichtungsstrategien der Nationalsozialist:innen und ihrer Anhänger:innen waren: Millionen von Menschen fielen ihnen zum Opfer – in ganz Europa.  
Heute,  80 Jahre nach Auschwitz, sind diese menschenfeindlichen Einstellungen wieder salonfähig. Die Vorstellungen, wer dazu gehören darf und wer nicht, sind populär geworden. Nicht umsonst ist gerade „Biodeutsch“ von der Jury der „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ zum Unwort des Jahres 2024 erklärt worden. Ein Begriff, der viele Menschen zu Deutschen zweiter Klasse degradiert. Im Jahr zuvor war es das Wort „Remigration“.
Diese Art zu denken kratzt auch zunehmend an den demokratischen Strukturen: demokratiefeindliche Parteien und Politiker:innen finden immer mehr Gehör und die Autokrat:innen sind auf dem Vormarsch.
Wir sollten diesen 27. Januar als Gelegenheit nutzen, um uns die Geschichte, die sich nicht wiederholen darf, genau anzuschauen. Wir sollten darüber nachdenken, wie auf Grundlage der Menschenrechte, der Gleichheit aller Menschen und des Rechts aller Menschen auf Freiheit unser aller Zusammenleben gestaltet werden soll.
Das ist unsere Basis, um überall da, wo es nötig ist, geschichtsverfälschende Behauptungen zu entlarven und für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einzustehen. „Gedenken ist nicht nur ein Rückblick, es geht nicht nur um die Vergangenheit, es spiegelt sich auch in der Gegenwart wider – also auch beim heutigen Stand der Stellung und Rechte von Schwulen und Lesben, der LGBTQAI+ Community“, sagte Dik de Boef , Präsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, im September 2022 aus Anlass des 80. Jahrestages der Mordaktion gegen schwule Häftlinge im Konzentrationslager Sachsenhausen. Als der Nazi-Terror endete, blieb der Paragraph 175 sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR in Kraft. Endgültig abgeschafft wurde er erst 1994, vier Jahre nach der Wiedervereinigung. Es dauerte noch bis 2002, bis der Deutsche Bundestag die von Nazi-Richtern Verurteilten rehabilitierte – die meisten von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.
Wir sollten zusammen daran arbeiten, dass „Nie wieder ist jetzt“ nicht nur eine Phrase bleibt. Damit das, was man sich später in den Familien und sonst wo erzählt, darin besteht, zu sagen „Wir haben alles dafür getan, damit diese Menschenfeindlichkeit nie wieder Gestalt annimmt.“ 

 

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Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes steht vor den Überresten des Lagers Herbstwald in den Baumbergen und hält einen Ausdruck der Kennzeichentafel für Schutzhäftlinge in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten in Händen. Diese Tafel gibt Aufschluss über die verschiedenfarbigen Winkel, die die Häftlinge an ihrer Kleidung tragen mussten und die sie unter anderem als Asoziale, politische Häftlinge oder als homosexuell markierten. Das Lager wurde von Frühjahr bis Sommer 1945 von den alliierten Truppen als Auffanglager für ehemalige Zwangsarbeiter genutzt, die überwiegend aus Russland und Polen stammten. Die Insassen brachten Angst und Schrecken über die Menschen im Stevertal. „Lager Herbstwald“ war zudem der Deckname für das Ausweichquartier der militärischen Verwaltungsbehörde des Wehrkreises VI, das sich ab Ende 1944 an dieser Stelle in den Baumbergen befand. Foto: Gemeinde Nottuln