hier: Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses vom 11.07.2017 und Einstellung des Verfahrens
Beschlussvorschlag:
Der
Beschluss zur Aufstellung der Innenbereichssatzung „Appelhülsen Achterkamp“ vom
11.07.2017 wird aufgehoben. Das Verfahren wird eingestellt.
Sachverhalt:
Mit Antrag vom
28.04.2017 ist namens und im Auftrag der Firma Achterkamp in Appelhülsen durch
einen Bevollmächtigten die Aufstellung einer Innenbereichssatzung begehrt
worden. Hintergrund des Antrags ist die vom Antragsteller vorgetragene Absicht,
den Standort baulich erweitern zu wollen. Da wegen der Lage im Außenbereich
eine Standorterweiterung gegenwärtig nicht genehmigungsfähig ist und
insbesondere wegen entgegenstehenden Zielen der Raumordnung auch eine
Bauleitplanung nicht in Frage kam, sollte im Aufstellungsverfahren für eine
Innenbereichssatzung geklärt werden, ob, und wenn ja, inwieweit eine Bebauung
der hier in Rede stehenden Fläche dennoch möglich ist.
Mit VL 110/2017
ist dann zur Prüfung gestellt worden, ob § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB einschlägig zur
Anwendung gebracht werden kann. Diese Vorschrift ermächtigt die Gemeinden durch
Satzung „einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten
Ortsteile ein[zu]beziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche
Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind“ (ebd.). Zu den
weiteren Ausgangsbedingungen und zum Instrument der Innenbereichssatzung im
Allgemeinen wurde mit VL 110/2017 bereits ausgeführt, sodass hier der Verweis
genügen darf.
Bereits dort
wurde im letzten Absatz festgehalten, dass offenkundig bereits zu Beginn des
Verfahrens nicht unerhebliche Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit
dieses Satzungstyps für den vorliegenden Fall bestanden.
Ergänzend sei
festgehalten, dass der geplante Geltungsbereich für die Innenbereichssatzung
z.T. in einem festgesetzten Überschwemmungsbereich nach § 83 LWG NRW i.V.m. §
76 WHG und der dazu ergangenen ordnungsbehördlichen Verordnung liegt (siehe
Anlage 1).
Der
Bundesgesetzgeber stellt dazu unmissverständlich klar, dass „in festgesetzten
Überschwemmungsgebieten die Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich in
Bauleitplänen oder in sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch untersagt
[ist]“ (§ 78 Abs. 1 Satz 1 WHG). Gleichwohl gibt § 78 Abs. 2 WHG einen
abschließenden Katalog von Tatbestandmerkmalen vor, die, wenn sie kumulativ
vorliegen, die zuständige Behörde, die hier die Untere Wasserbehörde beim Kreis
Coesfeld ist, in den Stand setzen, eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung
von den Verboten des Abs. 1 erteilen zu können. Regelungstechnisch liegt
insoweit ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt vor.
Bewertung:
Die bereits mit
der VL zum Aufstellungsbeschluss geäußerten Bedenken hinsichtlich der Frage, ob
eine Innenbereichssatzung (hier die sog. Einbeziehungssatzung) vorliegend
überhaupt richtiger- und rechtmäßigerweise zum Einsatz kommen darf, haben sich
im Laufe des Verfahrens erhärtet. Sowohl die interne Prüfung als auch die
Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, die das
Verfahren vorschreibt (§ 34 Abs. 6 BauGB), haben hier zu nachstehender
Bewertung der Sach- und Rechtslage geführt:
Bauplanungsrecht:
Die
Anwendungsvoraussetzungen des § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB sind nicht eröffnet. Insbesondere
grenzt der geplante Geltungsbereich der Innenbereichssatzung gerade nicht an
einen Innenbereich, in den er einbezogen werden könnte, sondern an einen mit
einem Bebauungsplan überplanten Bereich (siehe Anlage 2, Flächen mit
Bebauungsplan sind blau schraffiert). Dass jedoch genau die Grenzlage zum unbeplanten
Innenbereich konstitutiv für den in Rede
stehenden
Satzungstyp ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, der
Stellung der Vorschrift im Gesetz und der allgemeinen Systematik des § 34 BauGB
(in diese Richtung auch Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löer, § 34,
BauGB, Rn 88), ist im Übrigen aber auch in der Rechtsprechung geklärt (etwa VGH
München, Urteil vom 07.03.2002 – 1 N 01.2851). Auch spricht nichts dafür, dass
der Gesetzgeber hier die klassische bauplanungsrechtliche Dreiteilung in den
Zulässigkeitsbestimmungen der §§ 30, 34 und 35 BauGB ausnahmsweise außer Kraft
setzen, abändern oder gar durchbrechen wollte.
Selbst wenn man
zu der Auffassung gelangen wollte, dass die Anwendungsvoraussetzungen für eine
Innenbereichssatzung nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB auch dann vorlägen, wenn ihr
Geltungsbereich – wie vorliegend – an einen Bereich angrenzt, der sich nach §
30 Abs. 1 BauGB beurteilt, so mangelte es dennoch an der vom Gesetzgeber
geforderten entsprechenden Prägung des angrenzenden Bereichs für die
Außenbereichsfläche in ganz erheblichem Maße.
Gerade der für
die geplante Betriebserweiterung notwendige Zulässigkeitsmaßstab ließe sich
insoweit aus der Prägung des angrenzenden Bereichs schlechterdings nicht
ableiten; und zwar weder für die Art der baulichen Nutzung noch für das Maß der
baulichen Nutzung und überwiegend wahrscheinlich auch nicht für die
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll.
Im Übrigen
bleibt fraglich, ob und inwieweit die Innenbereichssatzung mit einer geordneten
städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist (§ 34 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BauGB).
Gerade der Verlauf der Stever, der hier die Ortslage vom Außenbereich
gewissermaßen trennt, kann in diesem Sinne argumentativ kaum überwunden werden,
denn „von einer Prägung durch die Bebauung im Innenbereich wird immer dann
nicht ausgegangen werden können, wenn die Grenze zwischen Innen- und
Außenbereich durch natürliche Gegebenheiten wie Flüsse, Erhebungen oder
sonstige Landschaftseinschnitte in besonders prägnanter Weise gebildet wird“
(dazu nur Roeser in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 34, BauGB, Rn 79). Auch
zeigt sich hier erneut, dass es auf die Prägung des angrenzenden Innenbereichs
und gerade nicht eines Planbereichs ankommt.
Erhebliche
Zweifel an der Vereinbarkeit mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung
lässt auch die im Satzungsentwurf notwendig gewordene Regelungs- bzw.
Festsetzungsdichte aufkommen. Zwar ermöglicht das Gesetz ausdrücklich in § 34
Abs. 5 Satz 2 BauGB, dass einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 und 3 Satz 1
sowie Abs. 4 getroffen werden können, gleichwohl ist im vorliegenden Fall
zumindest fraglich, ob hier noch von einzelnen
Festsetzungen die Rede sein kann. So fällt auf, dass die Satzung mit den
abschließenden Zulässigkeitsmaßstäben des § 34 BauGB jedenfalls nicht
erschöpfend auskommt. Vielmehr trägt die Planung offenkundig das Bedürfnis
tiefergehender planungsrechtlicher Steuerung in sich, was zumindest Indiz für
die Notwendigkeit, nicht zugleich aber auch für die Erforderlichkeit einer Bauleitplanung
ist.
Wasserrecht:
In Ergänzung zu
den obenstehenden bauplanungsrechtlichen Ausführungen kommt die eingangs im
Sachverhalt bereits erwähnte wasserrechtliche Ausgangslage hinzu, nach der „in
festgesetzten Überschwemmungsgebieten die Ausweisung neuer Baugebiete im
Außenbereich in Bauleitplänen oder in sonstigen Satzungen nach dem
Baugesetzbuch untersagt [ist]“ (§ 78 Abs. 1 Satz 1 WHG).
Hier ist
zunächst unstrittig, dass wenn entgegen aller obenstehenden Versagungsgründe
eine Innenbereichssatzung für den in Rede stehenden Bereich dennoch
weiterverfolgt werden würde, das festgesetzte Überschwemmungsgebiet als
öffentlicher Belang seinem Gewicht entsprechend in die Abwägung über die
Satzung einzufließen hat. Wollte man diesen Belang ignorieren, so läge ein
Abwägungsfehler vor; im Übrigen wäre die Innenbereichssatzung wegen ihrer
Unvereinbarkeit
mit dem materiellen Recht unwirksam (so auch Schmitt in: Giesberts/Reinhardt, §
78, WHG, Rn 32 m.w.N.)
Mit den
Vorschriften zur wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung hat der Gesetzgeber dazu
in § 78 Abs. 2 WHG ergänzend ein selbstständiges Verfahren vorgeschaltet, das
die Option einer Abweichungszulassung überprüfbar macht.
Antragsteller
ist hier wegen § 22 Satz 2 Nr. 2 VwVfG ausschließlich die planende Gemeinde,
die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 78 Abs. 2 Nr. 1-9
WHG insgesamt einen im Wege der Verpflichtungsklage einklagbaren Rechtsanspruch
auf Erteilung der Abweichungszulassung haben dürfte (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO, §
113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Genehmigung ist Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1
VwVfG. Zuständige Behörde i.S.d. § 78 Abs. 2 WHG ist die Untere Wasserbehörde
des Kreises Coesfeld, der nach herrschender Meinung ein eingeschränktes
(Versagungs-)Ermessen zusteht (vgl. auch Schmitt in: Giesberts/Reinhardt, § 78,
WHG, Rn 53f.).
Im Rahmen der
Antragstellung wäre insoweit von der Gemeinde Nottuln nach § 78 Abs. 2 WHG
kumulativ darzulegen, dass
1. keine anderen Möglichkeiten der
Siedlungsentwicklung bestehen oder geschaffen werden können,
2. das neu auszuweisende Gebiet unmittelbar an
ein bestehendes Baugebiet angrenzt,
3. eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit
oder erhebliche Sachschäden nicht zu erwarten sind,
4. der Hochwasserabfluss und die Höhe des
Wasserstandes nicht nachteilig beeinflusst werden,
5. die Hochwasserrückhaltung nicht
beeinträchtigt und der Verlust von verloren gehendem Rückhalteraum umfang-,
funktions- und zeitgleich ausgeglichen wird,
6. der bestehende Hochwasserschutz nicht
beeinträchtigt wird,
7. keine nachteiligen Auswirkungen auf
Oberlieger und Unterlieger zu erwarten sind,
8. die Belange der Hochwasservorsorge beachtet
sind und
9. die Bauvorhaben so errichtet werden, dass
bei dem Bemessungshochwasser nach § 76 Absatz 2 Satz 1, das der Festsetzung des
Überschwemmungsgebietes zugrunde liegt, keine baulichen Schäden zu erwarten
sind.
Insgesamt zeigt
dieser Katalog bereits deutlich die bewusst hoch angelegten Hürden für die
Befreiung vom „Planverbot“ in festgesetzten Überschwemmungsgebieten. Das
braucht nicht zu erstaunen, denn ganz offenkundig hat hier eine „Vorabwägung“
bereits auf Ebene der Gesetzgebung stattgefunden, die das Konfliktfeld zwischen
baulicher Nutzung und Hochwasserschutz konditional vorprogrammiert.
Im konkreten
Fall bestehen nunmehr ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der Ausfüllung der
Darlegungs- und Beweislast der Gemeinde Nottuln. Nach hiesiger Auffassung
dürfte der Antrag auf Abweichungszulassung wahrscheinlich bereits an § 78 Abs.
2 Nr. 1 WHG scheitern.
Freilich ist
die Gesamtlage in zahlreichen gemeinsamen Gesprächen mit den beteiligten
Behörden und dem Bevollmächtigten der Antragsteller sowie dem mit der Planung
beauftragten Büro intensiv erörtert worden. Auch die vielfach vorgetragenen
Einwände und Begründungsversuche des Bevollmächtigten der Antragsteller waren
hier schlechterdings nicht geeignet, den rechtlichen Problemen Abhilfe zu
schaffen.
Es bleibt daher festzuhalten, dass die
Anwendung von § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB auf den vorliegenden Fall aus den o.g.
Gründen ausgeschlossen ist. Schon deshalb ist der Aufstellungsbeschluss
aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
Insoweit kommt es im Ergebnis jedenfalls
unter sonst gleichen Umständen tatsächlich nicht mehr auf den Ausgang eines
etwaigen wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigungsverfahrens an. Eine
entsprechende Antragstellung erübrigt sich.
Ausblick:
Am 12.07.2019
hat der Landtag einen neuen Landesentwicklungsplan für das Land
Nordrhein-Westfalen verabschiedet. Dieser enthält u.a. geänderte Ziele und
Grundsätze der Raumordnung, die sich auch mit der Frage einer ausnahmsweisen
angemessenen Erweiterung von Betriebsstandorten im regionalplanerisch
festgelegten Freiraum befassen. Vor diesem Hintergrund könnten künftig erneut
die Möglichkeiten der Vereinbarkeit einer Bauleitplanung mit den geänderten
Zielen der Raumordnung zusammen mit der Regionalplanungsbehörde bei der
Bezirksregierung Münster eruiert werden.
Gleichwohl verbleibt
es auch dann ausdrücklich bei der Notwendigkeit, eine wasserrechtliche
Ausnahmegenehmigung zu erwirken.
Finanzielle Auswirkungen:
keine
Klimatische Auswirkungen:
keine
Anlagen:
Anlage 1: Ausschnitt aus der ordnungsbehördlichen Verordnung zur
Festsetzung des
Überschwemmungsgebiets der Stever vor der Einmündung in die Lippe bis
zur
Landstraße L 843
Anlage 2:
Lage des Geltungsbereichs der
Innenbereichssatzung zur Umgebung