Betreff
Anregung gemäß § 24 GO NRW - Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB bei Massentierhaltungsbetrieben
Vorlage
127/2012
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Dem in Anlage 1 befindlichen Antrag gem. § 24 Gemeindeordnung NRW wird nicht gefolgt. Den Antragstellern wird die im Sachverhalt aufgeführte Begründung mitgeteilt.


Sachverhalt:

Der in Anlage 1 befindliche Antrag gem. § 24 Gemeindeordnung NRW wurde durch den Rat in der Sitzung vom 30.05.2012 (SV 127/2012) an den zuständigen Fachausschuss zur Vorberatung und den Haupt- und Finanzausschuss zur Entscheidung verwiesen.

 

Die Antragsteller (derzeit acht Anträge mit gleichem Wortlaut) fordern, dass die Gemeinde bei Anträgen zu „Massentierhaltungsanlagen“ im Baugenehmigungsverfahren ihr Einvernehmen gemäß § 36 BauGB verweigert.

 

 

Definition Massentierhaltung

Zunächst stellt sich die Frage, was unter dem Begriff „Massentierhaltung“ zu verstehen ist. Planungs- und baurechtlich spielt dieser Begriff keine Rolle.

 

Im Planungsrecht wird zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung unterschieden. Der Unterschied wird hier nicht an einer bestimmten Tierhaltungsform oder Tierplatzzahl ausgemacht, sondern beruht einzig darauf, dass bei landwirtschaftlicher Tierhaltung gem. § 201 BauGB das Futter auf zum Betrieb gehörenden Flächen erzeugt werden kann.

 

Ferner wäre noch eine Unterscheidung gemäß der Tierplatzzahl möglich. So ist z.B. die Tierplatzzahl eine denkbare Grenze, ab der ein Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlich ist oder eine Umweltverträglichkeitsprüfung gem. UVPG Planungsbestandteil sein muss  (das wäre z.B. je nach Einzelfall ab 1.500-2.000 Mastschweineplätzen oder ab 15.000-40.000 Hennenplätzen der Fall).

 

Da der Antrag jedoch auf eine planungsrechtliche Beurteilung zielt, wird davon ausgegangen, dass unter dem Begriff „Massentierhaltung“ eine gewerbliche Tierhaltung zu verstehen ist.

 

 

Planungsrechtliche Bewertung von gewerblicher Tierhaltung

Der Außenbereich gem. § 35 BauGB soll vom Grundsatz her von baulichen Anlagen aller Art frei gehalten werden. Für bestimmte Anlagen werden jedoch in § 35 Absatz 1 BauGB Ausnahmen geschaffen; dies sind die sogenannten privilegierten Vorhaben. Gewerbliche Tierhaltungsbetriebe werden nach mehrfacher höchstrichterlicher Rechtsprechung zu den in § 35 Absatz 1 Nr. 4 BauGB genannten und damit privilegierten Betrieben gezählt („Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig (...) wenn es wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung (...) nur im Außenbereich ausgeführt werden soll“).

 

 

Rechtliche Bewertung des Antrages

Dem Ansinnen der Antragsteller kann aus Sicht der Verwaltung aus folgenden Gründen nicht zugestimmt werden:

 

1.       Das Erteilen des Einvernehmens ist immer eine Einzelfallentscheidung. Jedes Vorhaben muss individuell geprüft werden. Eine pauschale Ablehnung wäre unzulässig. Alle folgenden Ablehnungen des gemeindlichen Einvernehmens wären vor Gericht schon angreifbar, weil der generelle Beschluss besteht.

2.       Bei der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen besteht für die Gemeinde keinerlei Ermessensspielraum. Geprüft werden muss allein die planungsrechtliche Zulässigkeit. Wenn alle Zulässigkeitskriterien erfüllt sind, muss das Einvernehmen erteilt werden.

3.       Der Antrag führt in der Begründung an, dass Massentierhaltungsanlagen zu einer Beeinträchtigung der in § 35 Absatz 3 BauGB aufgeführten öffentlichen Belange führen und deshalb unzulässig seien. Dies ist nicht zutreffend. Privilegierte Betriebe im Sinne des § 35 Absatz 1 BauGB dürfen durchaus zu einem gewissen Grad zu einer Beeinträchtigung führen. Dies gesteht der Gesetzgeber diesen Vorhaben eindeutig zu. Nur privilegierte Vorhaben, denen öffentliche Belange entgegenstehen – dies ist eine weitaus höhere Schranke – sind planungsrechtlich unzulässig. In aller Regel können Antragsteller durch umfassende technische Maßnahmen (z.B. Entlüftung), organisatorische Maßnahmen, Ausgleichspflanzungen o.ä. erreichen, dass die Eingriffe soweit minimiert werden, dass zwar noch eine Beeinträchtigung besteht, diese aber nicht so stark ist, dass öffentliche Belange entgegenstehen. Genau diese Unterscheidung führt dazu, dass die Gemeinde den meisten Anträgen zustimmen muss.

 

Fazit:

Den Antragstellern sollte mitgeteilt werden, dass ihr Antrag aus den o.g. formalen Gründen abgelehnt werden muss.

 

 

Ausblick

Obwohl wie oben ausgeführt eine Zustimmung zum Antrag nicht zulässig ist, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass zum einen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die gewerbliche Tierhaltung im Wandel sind und zum anderen planungsrechtliche Steuerungsmöglichkeiten für Tierhaltungsbetriebe bestehen.

 

 

1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Der derzeitige Entwurf der BauGB-Novelle sieht eine Änderung des maßgeblichen § 35 Absatz 1 Nr. 4 vor. Demnach wären künftig sehr große gewerbliche Tierhaltungsbetriebe (die Betriebe, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen) im Außenbereich nicht mehr privilegiert und daher generell unzulässig. Falls dennoch eine Errichtung gewünscht ist, müsste seitens der Gemeinde Bauleitplanung betrieben werden (Ausweisung von Sondergebieten für gewerbliche Tierhaltung).

 

Ob diese Änderung des BauGB in dieser Form am Schluss des Gesetzgebungsverfahrens bestehen bleibt ist bislang noch nicht absehbar. Die BauGB-Novelle wird für Ende 2012 / Anfang 2013 erwartet.

 

 

2. Planungsrechtliche Steuerungsmöglichkeiten

Die Gemeinde kann im Rahmen ihrer Planungshoheit die Ansiedlung von gewerblichen Tierhaltungsbetrieben steuern. Hier sind mehrere Wege möglich:

 

1.       Die Gemeinde stellt in Industriegebieten Flächen für gewerbliche Tierhaltungsbetriebe zur Verfügung. Damit wären diese Betriebe – solange hier Flächen verfügbar sind – im übrigen Gemeindegebiet unzulässig.

2.       Die Gemeinde stellt auf Ebene des Flächennutzungsplanes Konzentrationszonen für gewerbliche Tierhaltung (vergleichbar mit Konzentrationszonen für die Windkraft) dar. Damit wären ebenfalls im übrigen Gemeindegebiete derartige Betriebe unzulässig.

3.       Die Gemeinde stellt für bestimmte Teile des Außenbereichs einfache Bebauungspläne auf, in denen gewerbliche Tierhaltungsbetriebe ausgeschlossen werden. Dies kann jedoch nur für kleinere Teile des Gemeindegebietes geschehen (etwa in einem bestimmten Umkreis zu den Ortsteilen oder in Gebieten, die für die Naherholung / den Tourismus von besonderer Bedeutung sind)

 

Alle diesbezüglichen Bauleitplanverfahren sind sehr aufwändig und rechtlich mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, da es sich noch nicht um langjährig erprobte Verfahren handelt. Ferner führt eine diesbezügliche Planung zu einem vergleichsweise starken Eingriff in die Nutzungsmöglichkeit für Außenbereichsflächen. Beispielsweise könnte das Ergebnis sein, dass bestehende örtliche Tierhaltungsbetriebe eine Erweiterung nicht mehr in der Nähe ihrer Hofstelle, sondern in einem ganz anderen Teil der Gemeinde errichten müssten.


Finanzielle Auswirkungen:

keine


Anlagen:

Anlage 1:            Antrag